Eröffnungsrede – Frühlingssinfonie Galerie Haus 23

Eröffnungsrede anlässlich der Austellungseröffnung „Frühlingssinfonie“ in der  Galerie Haus 23

Nun, da die Ausstellung gebaut, die Lichter angeschaltet sind, lässt die Anspannung der letzten vierzehn Tage voll intensiver, manchmal harter Arbeit langsam nach. Ich hoffe, sie wird nach dieser Rede ganz verschwunden sein. Ich hoffe ebenso, dass man der Ausstellung diese Anstrengung nicht ansieht, denn letztlich zählt in der Kunst nur das Resultat, nicht der Schweiß, den es gekostet hat.

Es ist sicher ungewöhnlich, dass ein Künstler das Wort ergreift zur Eröffnung seiner eigenen Ausstellung. Doch wer mich etwas kennt, der weiß, dass ich gern solche Gelegenheiten nutze, um die Sprachlosigkeit der Bildarbeiter angesichts des Vielen, das über sie geredet wird, lustvoll zu unterlaufen.

Ich denke, ich weiß, was ich mache und auch warum. Ich bin tagtäglich am Formen und Formulieren, sollte also selber Auskunft geben können… Einen Versuch ist es zumindest wert.

Ich freue mich sehr, dass ich im dreißigsten Jahr meines Künstlerseins in Cottbus in dieser Galerie einen Großteil meines aktuellen bildnerischen Schaffens präsentieren kann.

Diese Freude hat zwei gute Gründe. Die Schau hier ermöglicht es mir, zum Jubiläum im Herbst in meiner Ateliergalerie den Focus auf zwei andere Aspekte meines Schaffens zu richten. So zeige ich im September: Räume öffnen-die Kunst des Möbelbauens, sowie während des Filmfestivals: Raumkrümmung, Zeichnungen und Arbeiten für den Fulldomfilm. Die Arbeit mit dem Raum  ist der Gedanke, der alle drei Ausstellungen verbindet, der zweite gute Grund für mein Hiersein ist dieser Raum. Geht es beim Fulldome um virtuelle Räume, beim Möbeldesign um konkrete Räume und ihre Nutzbarkeit, so geht es hier um den vorhandenen Raum an sich.

Dieser Galerieraum ist ein schwieriger, ein spannender Partner. Er zwingt dazu, sich wirklich auf ihn einzulassen, er ist riesig und kleinteilig, sehr eigenwillig, vom Licht her eher tödlich für Skulptur und mit einem Boden, der eigentlich selbst schon Relief ist und plastische Struktur , und der sehr genau vorgibt, wo man etwas stellen kann und wo besser nicht, wenn es nicht zum Mobile werden soll. (Ich hatte schon überlegt, einfach nur den Fußboden zu signieren und es dabei zu belassen, doch letztlich fehlte mir dazu der Mut.) Dann sind da noch die offenen Balken, die dem Raum nach oben bremsen und die einen geradezu dazu verführen wollen, sie für die Konzeption zu nutzen. Hier muss und kann man mit dem Raum arbeiten, Dinge und Konstellationen ausprobieren, also wirklich nach Herzenslust experimentieren mit offenem Ausgang.

Ich war gespannt, ob es mir mit meinen Dingen gelingen würde, diese Räume leicht wirken zu lassen und groß und licht. Kraftvoll zu zeigen, was ich bildnerisch zu leisten vermag und das trotzdem auf behutsame Weise, also, ohne den Raum zu

überfordern. Es war mein Anliegen, einen hoffnungsvollen Zusammenklang zu erzeugen, etwas wie einen Aufbruch nach finsteren Tagen. So kam ich zum Titel Frühlingssinfonie.

Erstaunlich, wie wichtig so ein kleines Wort, so ein Titel für die Atmosphäre, also die Wahrnehmung einer Ausstellung ist. Stellen sie sich für einen kurzen Moment vor, ich hätte einen anderen Titel gewählt, so z. B. Tarnkunst und andere Absonderlichkeiten. Das Arrangement wäre dasselbe, doch wie anders würden sie jetzt auf diese Dinge schauen…

Eine weitere Sache ist ebenso wichtig: Das Licht. Heute, mit der Eröffnung, hat diese Ausstellung sozusagen ihren dunkelsten Augenblick. Doch es wird ja Frühling. Die Tage werden länger und länger, und auch zu den abendlichen Öffnungszeiten der Galerie wird es in der zweiten Hälfte der Laufzeit  Tageslicht geben. Ich empfehle ihnen, dann noch einmal hier hereinzuschauen. Sie werden eine ganz andere Ausstellung erleben. Manches, was ich gewollt und gewünscht habe, wird ihnen dann erst, (und im wahrsten Sinne des Wortes), transparent und einleuchtend erscheinen.

Also Frühlingssinfonie. Figur ist das offensichtliches Grundthema, welches in sechs Sätzen, also sechs unterschiedlichen Techniken, auseinander hervor-und ineinander übergehend in einem permanenten, offenen Prozess bearbeitet wird. Kurz möchte ich zu jeder dieser Arbeitstechniken etwas sagen, ohne jedoch auf einzelne Werke einzugehen. Wenn sie dazu etwas erfahren wollen, dann fragen sie mich gern im Anschluss, oder sie checken einfach den QR-Code einer interessierenden Arbeit und gelangen damit auf meine Website, wo Peter Wagner  sehr behutsame, assoziative kleine Texte dazu verfasst hat. Diese bieten ihnen ebenfalls einen möglichen Zugang.

Die hier gezeigten Kaltnadelradierungen sind die spontansten der vorgestellten Arbeiten. Ganz unmittelbar zeigen sie bestimmte Augenblickseingebungen und Vorlieben, was ihre Unterschiedlichkeit erklärt. Für mich verbindet die Kaltnadelradierung die Zeichnung, von der ich herkomme, mit dem spröden Widerstand eines Materials, was ich sehr schätze. Hinzu kommt das Genie des liebenswürdigen Kupferdruckers Dieter Bela aus Berlin, der aus meinem Gekratze  wunderbare Blätter entstehen lässt.

Von der Zeichnung kam ich zum Relief und von dort später zur freien Skulptur. Möglich wurde das durch die alte Technik des Spaltens, die mich schon durch mein ganzes Schaffen begleitet. Bei der Skulptur wurde ich frei und lernte, dem Material zu vertrauen.

Für mich ist Holz  Formgewordene Lebenserfahrung. Wenn man lange genug in es hineinschaut, dann lernt man, diese zu sehen und mit einzubeziehen. Ich halte das für eine intelligente Art des Umgangs mit diesem lebendigen Material.

Dem Holz wird nicht etwas aufgezwungen, wogegen es sich im Nachhinein wehrt, sondern im Verständnis seiner Eigenheiten entsteht, manchmal in einem jahrelang währenden Prozess, eine neue, zu dem Stück und zu meiner Erfahrung passende Form.

Bei dieser Arbeit fallen Späne ab, Holzstücke mit Bearbeitungsspuren, die manchmal eine sehr eigenwillige Eigenform besitzen. Diese hebe ich auf und aus ihnen und aus Wachs als Bindematerial entstehen dann die Originale für die kleinen Bronzen. Bei dieser Arbeit denke ich oft an Menschen, die ich mag. Die Form fließt selbstverständlicher aus der Hand, wenn ich an eine bestimmte Haltung denke oder an das, was diesen Menschen für mich ausmacht. So sind  die Plastiken dann Zueignungen in der Brecht’schen Manier: Ich mache einen Entwurf von Jemandem und sehe, dass er ihm ähnlich wird.

Doch immer noch und immer wieder treibt es mich zum Relief. Es ist wohl die Nähe zum Bild, die Möglichkeit, grafische oder malerische Elemente in die Skulptur hineinzunehmen, die Möglichkeit, eigene Themen anders durchspielen  und komponieren zu können. Die Zeichnung ist ohnehin immer mit dabei. Sie ist das Erste, was auf der verleimten Holzfläche passiert. Den dann einsetzenden Prozess der Zerstörung der Zeichnung nenne ich das Unter- die- Oberfläche- gehen, bzw. das Wegarbeiten von Oberfläche. Dabei geschieht es oft, dass man einen glücklich erreichten Zustand wieder verlässt, in zerstört, um mit der Arbeit weiter zu kommen. Diesen Prozess wollte ich dann nachvollziehbar/ transparent  machen und begann deshalb, solche Zwischenzustände abzudrucken. Das japanische Shoji-Papier und ein ebenfalls japanisches Handabreibepad machten beides möglich. Dazu kam das Aufbringen dieser Drucke auf Shojirahmen, deren Gitterwerk die Komposition betont und so wurde das Ganze für mich zu einem in sich schlüssigen Ganzen, welches sehr schnell einen künstlerischen Eigenwert entwickelte. So entstehen inzwischen von Arbeitszuständen bis zu 12 Varianten von Farb-und Mehrfachdrucken, die alle unwiederholbar und Einzig sind, durch die Reliefarbeit ist es ein Druck in der verlorenen Form. Doch meine Relieftafel bekommt so von Beginn an Farbe mit, die ich dann während der skulpturalen Arbeit mit einbeziehe.

Eine andere Variante der grafischen Arbeit am entstehenden Relief ist die Frottage, die mich gleichzeitig und auf neue Weise zur Zeichnung zurückführt. Auch hier werden drei Zustände des Reliefs übereinander mit Bleistift abgerieben. Der Prozess wird nicht nur deutlich, sondern durch die Grauwertverdichtung auch vertieft. Trotzdem bleibt das Resultat ein behutsames Gebilde.

All diese Dinge habe ich versucht, mit diesen Räumen zu einem sinfonischen Werk, einem stimmigen Gesamtklang zu vereinen, sie können es nun heute und in den kommenden Wochen sehen.

Meine Arbeit ist getan, auch die Rede neigt sich ihrem Ende, mit jedem noch zu sagenden Wort lässt die Anspannung weiter nach, um dann hoffentlich endlich ganz verschwunden zu sein.

Ich fürchte nur, dass sie in diesem, ganz nahen Moment, einer anderen Spannung Platz machen wird, nämlich der, wie sie diese Ausstellung aufnehmen werden.

Doch das ist glücklicherweise eine ganz andere Geschichte.

Hans-Georg Wagner, 04.03.2016